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Ist es dir wichtig, dein Jüdisch-Sein an deiner Kleidung oder über Symbole auszudrücken?

Ist es dir wichtig, dein Jüdisch-Sein an deiner Kleidung oder über Symbole auszudrücken?

Die eigene Zugehörigkeit und den Stolz darauf auszustellen, ist vielen ein Bedürfnis. Fußballfans tragen Schals in den Vereinsfarben, politische Sympathien finden ihren Ausdruck in Buttons oder Fahnen, Beutel tragen bunte Aufdrucke von religiösen und anderen Institutionen. Andere tragen Kreuz oder Kopftuch als Ausdruck ihrer religiösen Identität. Ist das mit jüdischen Symbolen auch so selbstverständlich möglich?

„Berlin trägt Kippah!“ – solche und ähnliche Slogans sind regelmäßig zu hören, wenn wieder ein antisemitischer Übergriff auf eine als jüdisch wahrgenommene Person stattgefunden hatte. Dahinter steht die Annahme, dass jüdische Symbole nur weitverbreitet und Teil eines städtischen Alltags sein müssten, um Fremdheitsgefühle und Aggressionen abzubauen. Gelegentlich ist auch die Forderung zu hören, Juden sollten doch mehr Kippah tragen in der Öffentlichkeit, dann würden Vorurteile schon leichter verschwinden.

Lässt sich an Äußerlichkeiten erkennen, ob mein Gegenüber jüdisch ist? Im allgemeinen nicht, denn bis auf die – in Deutschland verschwindend kleine – Minderheit der Ultraorthodoxen sind Juden und Jüdinnen kaum an der Kleidung oder an anderen Attributen zu erkennen. Landläufig am bekanntesten sind die Kippah und das Symbol des Davidsterns, das gern an einer Halskette getragen wird. Jede/r möchte sich gern zu erkennen geben, die eigene Zugehörigkeit mit Stolz ausstellen. Aber möchte man immerzu erkennbar sein? Der Wunsch nach Privatheit kann ein Grund für das Verbergen der Zugehörigkeit zum Judentum sein, aber auch Vorsicht und Erfahrungen mit Antisemitismus.

Die meisten jüdischen Männer tragen eine Kippah nur in der Synagoge, bei Friedhofsbesuchen oder bei „jüdischen“ Anlässen zu Hause oder in der Gemeinde; stärker religiös orientierte Männer bedecken meist ständig ihren Kopf – neben der traditionellen Kippah erfüllen auch Hüte und Mützen jeglicher Art diesen Zweck. Um nicht ständig angestarrt zu werden, möglicherweise einer Pöbelei oder sogar einem gewalttätigen Übergriff ausgesetzt zu sein, entscheiden sich deshalb viele Kippah-Träger eher für eine „neutrale“ Alternative, wenn sie sich auf der Straße bewegen. Im orthodoxen Judentum bedecken auch verheiratete Frauen ihr Haar, aber da es sich hierbei meist um modisch gebundene Tücher, Hüte oder Kappen handelt, werden sie von Außenstehenden nicht als jüdisch konnotiert wahrgenommen. Eine andere Sache ist es mit einem Davidstern, hebräischen Buchstaben oder einer Chamsa (ein aus nordafrikanischer Folklore stammendes Schutzsymbol) an Halsketten oder an anderen Accessoires, die von Frauen wie von Männern gleichermaßen getragen werden. Wer ein solches Symbol trägt, kalkuliert meist ganz genau, wann es öffentlich zu sehen ist oder wann es lieber unter der Kleidung versteckt wird.

Zahlreiche Juden und Jüdinnen haben sich entschlossen, ihr Jüdischsein nicht zu verstecken. Sie tragen eine Kippah, eine Kette mit Davidstern oder andere Symbole an Kleidung und Äußerem. Was sind ihre Motive dafür? Sind es religiöse Gebote? Oder geht es um eine antifaschistische Demonstration: „Seht her, die Nazis hatten nicht das letzte Wort, wir sind da“? Tun sie das immer und an allen Orten? Welche Überlegungen begleiten sie, wenn sie sich als jüdisch zeigen? Die jüdischen Symbole können bei Passanten auf Interesse und Zuspruch stoßen, sie können Ausgangspunkt für ein gutes Gespräch werden, aber ebenso werden sie auf der Straße oder in Verkehrsmitteln zum Anlass für abwertende und verletzende Äußerungen genommen. Und leider kommt es immer wieder vor, dass diejenigen, die Kippah oder Davidstern tragen, körperlich angegriffen werden.

Diese Befürchtungen werfen die Frage auf, ob heute Judentum in Deutschland frei gelebt werden kann oder ob das nur unter Polizeischutz möglich ist. Die Antwort darauf kann nur die bundesrepublikanische Gesellschaft und Politik geben. Jede Forderung nach demonstrativer Sichtbarkeit jüdischen Lebens im öffentlichen Raum verschiebt die Verantwortung zur Bekämpfung des Antisemitismus auf die Betroffenen. Es ist unziemlich, ihnen in der vermeintlich guten Absicht von jüdischer Präsenz das Sicherheitsrisiko aufzuerlegen.