Was hälst du von Kritik an Brit Milah?
Was hältst du von Kritik an Brit Milah?
Gegen das Ritual der Brit Milah werden immer wieder massive Einwände erhoben. Nach Ansicht der Gegner werden einem Baby unnötige Schmerzen zugefügt, die Integrität seines Körpers verletzt, seine körperliche und religiöse Selbstbestimmung missachtet. Gegen jeden dieser Gründe lässt sich argumentieren. Manche Polemik aber steht in jahrtausendealter antisemitischer Tradition. Dann geht es nicht mehr um die Rechte des Kindes oder seiner Eltern, sondern um Diffamierung und um ein Verbot von jüdischer Religionsausübung.
Im Jahr 2012 wurde eine heftige Mediendebatte über die rituelle Beschneidung von Jungen entfacht. Ausgelöst wurde die Diskussion durch ein Urteil des Kölner Landgerichts, das beschied, es handele sich hierbei um Körperverletzung. Im Interesse der körperlichen Unversehrtheit eines Kindes müssten die Eltern abwarten, bis ihr Sohn selbst entscheiden könne, ob er beschnitten werden möchte. Ausgangspunkt des Gerichtsverfahrens war ein muslimisches Kind, doch sehr schnell stand die jüdische Praxis der rituellen Beschneidung im Mittelpunkt der Debatte. Einige Beiträge in Zeitungen, Talkshows und Unterschriftensammlungen gegen die Beschneidung ließen jahrtausendealte antisemitische Motive wiederaufleben, andere begründeten ihre Ablehnung mit moderneren Argumenten wie Kindeswohl und körperliche Selbstbestimmung. Angesichts des Konflikts verschiedener Rechte und Werte (Elterliches Sorgerecht, Kindeswohl, Religionsfreiheit) entstand eine große Verunsicherung, ob die rituelle Beschneidung weiterhin zulässig und somit jüdische Religionsausübung überhaupt noch möglich sei.
Die Vorbehalte gegen die Beschneidung gehen bis in die Antike zurück. Hellenistischen Ästhetikvorstellungen galt nur ein unbeschnittener Mann als schön. Römische Argumente steigerten die Polemik und bezeichneten die Entfernung der Vorhaut als Genitalverstümmelung und Kastration. Das entstehende Christentum wollte sich unter anderem vom Judentum dadurch absetzen, indem es das körperliche Zeichen der Zugehörigkeit diskreditierte. Juden wurde Blutdurst, sexuelle Hemmungslosigkeit, mangelnde Männlichkeit angedichtet; die sexuell aufgeladenen Projektionen und Körperbilder verwiesen dabei vor allem auf die Phantasien und den Antisemitismus der Kritiker. In der Gegenwart wird die Ablehnung der Beschneidung als ritueller Praxis von Judentum und Islam vor allem mit dem Kindeswohl, also der religiösen und körperlichen Selbstbestimmung des Kindes begründet. Hinter dieser habe das Sorgerecht der Eltern und ihre Entscheidung zur religiösen Erziehung des Kindes zurückzustehen. In einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft gelten religiöse Rituale als archaisch und überholt, es wird das Recht auf „Freiheit von Religion“ geltend gemacht. Manche der Argumente sind altbekannte Polemiken, nun durch Begriffe aus der Medizin, Psychologie und Pädagogik modifiziert (nutzloser oder gefährlicher Körpereingriff, Trauma, Selbstbestimmung). Nicht alle solcher Einwände sind bewusst oder unbewusst antisemitisch motiviert. Demokratische Gesellschaften müssen immer wieder neu aushandeln, wenn sich Wertvorstellungen verschieben und so verschiedene Rechte und Interessen zueinander im Konflikt stehen. Auffällig war aber die Vehemenz, mit der Beschneidungsgegner die Debatte führten. Kinderrechtsaktivismus verband sich mit Religionsgegnerschaft, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Kaum zu ertragen waren die implizierten Unterstellungen, jüdische Eltern würden ihre Kinder rücksichtslos und grausam behandeln.
Die verfassungsrechtlichen Argumente zugunsten der rituellen Beschneidung stützen sich auf die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit. Dieses Ritual und auch sein Zeitpunkt im Säuglings- und Kindesalter berührten für Juden und Muslime zentrale Glaubensinhalte, während das Ausmaß des operativen Eingriffs sehr gering sei. Das elterliche Sorgerecht umfasst ja auch die Bestimmung über andere körperliche Eingriffe wie Ohrlöcher, Impfungen, Operationen, Bluttransfusionen und anderem. Auch Bildung und Werteerziehung sind Recht und Pflicht der Eltern, dazu gehört auch die religiöse Erziehung und Lebenspraxis. Es ist eine Illusion anzunehmen, ein Kind könne in einem wertneutralen Raum aufwachsen und entscheiden dann ab dem Alter von 14 Jahren (Religionsmündigkeit) oder 18 Jahren (Volljährigkeit), welchen religiösen oder weltanschaulichen Weg es einschlage.
Die Debatte beruhigte sich, nachdem der Deutsche Bundestag im Dezember 2012 die rituelle Beschneidung gesetzlich regelte (BGB §1631d). Demzufolge ist bei Kindern eine religiös oder kulturell motivierte, „nicht medizinisch erforderliche“ Entfernung der Vorhaut erlaubt, sofern sie das Kindeswohl nicht gefährdet. Bis zum sechsten Lebensmonat könne dieser Eingriff von einer speziell ausgebildeten Person der Religionsgemeinschaft (Mohel) vorgenommen werden, nach diesem Zeitpunkt ausschließlich von einem Arzt oder einer Ärztin. Ein Verbot der Brit Milah hätte einen zentralen Bestandteil jüdischen Selbstverständnisses unmöglich gemacht, eventuell zu einem, Gesundheit und Kindeswohl gefährdenden „Beschneidungstourismus“ ins Ausland geführt und jüdische Religionsausübung in Deutschland sehr nachhaltig eingeschränkt.