Bat Mizwah und Bar Mizwah
Bat Mizwah und Bar Mizwah
Im Judentum gelten Mädchen mit 12 und Jungen mit 13 Jahren als erwachsen, d.h. als religionsmündig. Von diesem Zeitpunkt an werden sie als „Bat Mizwah“ bzw. „Bar Mizwah“, als „Tochter bzw. Sohn der Verpflichtung“, betrachtet. Sie müssen von nun an selbst Verantwortung für die eigene religiöse Lebenspraxis und für die Erfüllung der Gebote vor Gott und den Menschen übernehmen. Ursprünglich begingen nur Jungen den Beginn dieser neuen Lebensphase mit einem Ritual, für Mädchen bildeten sich erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts verschiedene Formen heraus, um die Bat Mizwah zu feiern. Die Vorbereitung auf diese Zeremonie dauert ziemlich lange, denn die Kinder müssen dafür viel lernen.
Die Übernahme von Verantwortung für das eigene religiöse Leben, die Erfüllung der Gebote vor Gott und den Menschen wird auf das Alter von dreizehn Jahren datiert. Das setzt einen Prozess des Lernens und Hineinwachsen in jüdische Lebenspraxis voraus und fällt mit der Pubertät, also dem Vorgang der körperlichen Reifung zusammen. Deshalb unterschied das Judentum in dieser Hinsicht zwischen Jungen und Mädchen: Jungen galten ab einem Alter von 13 Jahren als erwachsen, d.h. als verpflichtet zur Ausübung der Gebote, Mädchen bereits ab einem Alter von 12 Jahren. Von diesem Zeitpunkt an wurden sie als „Bar Mizwah“ bzw. „Bat Mizwah“, als „Sohn/Tochter der Verpflichtung/Gebote“, betrachtet. In religiösem Recht zählten sie nun als Erwachsene und waren selbst verantwortlich für das Halten der Gebote in ihrem Lebenswandel.
Doch erst seit dem Mittelalter ist überliefert, dass das Erreichen des Erwachsenenstatus mit einer Zeremonie begangen wurde. Und dann auch nur mit Blick auf die Jungen: Das traditionelle Ritual in der Synagoge sieht so aus, dass ein Junge nach seinem 13. Geburtstag erstmals zur Torah aufgerufen wird, den ganzen Wochenabschnitt oder einen Teil davon sowie die jeweilige Prophetenlesung vorträgt. Der Vater sagt einen Segensspruch, mit dem er dafür dankt, nun von der religiösen Verantwortung für den Sohn befreit zu sein. Nach dem Gottesdienst gibt es ein Festmahl der Familie, zu der Verwandte und Freunde eingeladen werden. Der Junge hält einen Lehrvortrag und wird von nun an als Teil des Minjan, also des für bestimmte Gebete und Rituale notwendigen Quorums von zehn Männern, gezählt.
Für Mädchen gab es kein Ritual, dass ihr Erwachsenenwerden feierte. Manchmal übernahmen jüdische Familien deshalb die Praktiken der nichtjüdischen Umgebung, z.B. in Lateinamerika die Feier des 15. Geburtstags. Die erste offizielle Bat Mizwah, also eine dem traditionellen Ritual vergleichbare individuelle Zeremonie für Mädchen, ist aus dem Jahr 1922 dokumentiert, als Judith Kaplan, die Tochter des bekannten Rabbiners Mordechai Kaplan, in New York im Rahmen eines Schabbatgottesdienstes aus der Torah vortrug und die Segenssprüche darüber sagte. Wirklich durchgesetzt hat sich die Feier der Bat Mizwah erst im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklungen um die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter. Im Liberalen Judentum, das seit den 1970er Jahren Männer und Frauen zu sämtlichen religiösen Funktionen zulässt, sind die Feiern von Jungen und Mädchen gleich gestaltet.
Die Vorbereitungen für die Bar/Bat Mizwah ziehen sich bei den Kindern je nach Vorwissen und Gemeindepraxis über ein bis drei Jahre hin. Es geht um Religionsunterricht und um Hebräischkenntnisse, denn der Wochenabschnitt der Torah oder wenigstens ein Teil davon sollen im Gottesdienst vorgelesen werden, meist in der traditionellen musikalischen Rezitationsweise (Teamim). Dazu kommt noch die Haftarah, die Lesung eines Abschnitts aus den biblischen Prophetenbüchern, in Hebräisch oder in der Landessprache. Danach folgt eine predigtähnliche Ansprache; manchmal wird auch ein Teil des Gottesdienstes vorgebetet. Die Jugendlichen legen zum ersten Mal ihren Tallit (Gebetsumhang) an, der ihnen von der Familie geschenkt wird. Daran schließt der Kiddusch an, ein festlicher Imbiss, den die Familie für die Gemeinde ausrichtet. Je nach Geschmack und Geldbeutel wird danach im privaten Rahmen mit Familie und Freundeskreis weitergefeiert. Rabbiner*innen und Gemeinden mahnen immer wieder, die materielle Ausstattung dieser Feierlichkeit und das Ausmaß der Geschenke nicht ausufern zu lassen und darüber den Anlass, das religiöse Erwachsenwerden und das Bekenntnis zum Judentum, zu vernachlässigen. Manche Jugendlichen „adoptieren“ ein soziales Projekt, mit dem sie sich im Rahmen ihrer Bar/Bat-Mizwah-Vorbereitung auseinandersetzen und überlegen, wie sie auf diese Weise zur Verbesserung der Welt beitragen können. Andere beschäftigen sich mit der Biographie eines in der Schoah ermordeten Kindes und lassen es symbolisch an der Zeremonie teilhaben. Einige Familien drücken ihre Verbundenheit mit jüdischer Geschichte und dem Staat Israel aus, indem sie die Bar Mizwah ihrer Söhne an der Kotel, der westlichen Befestigungsmauer des Jerusalemer Tempels, abhalten.
Auch im orthodoxen Judentum ist es mittlerweile üblich, dass Mädchen ihre Bat Mizwah festlich begehen. Je nach Prägung der jeweiligen Synagoge oder Familie kann das auf dieselbe Weise erfolgen wie das Ritual für Jungen, nur dann eben im Rahmen eines Frauengottesdienstes, oder auch in Gestalt des Lichterzündens und einer Ansprache am Freitagabend. In sefardischen Kreisen ist in den letzten Jahren die Zeremonie des „Challah-Absonderns“ populär geworden, wo sich die Freundinnen zum Zubereiten der Schabbatbrote treffen, Auslegungen der Torah hören und gemeinsam singen. Gelegentlich ist auch zu erleben, wie Erwachsene ihre Bar/Bat Mizwah nachholen, die sie als Jugendliche nicht begehen konnten: Meist sind es Frauen, in deren Jugend es nicht üblich war, auch das Erwachsenwerden von Mädchen zu feiern. In Israel organisiert man für Schoah-Überlebende oder für Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion Bar-Mizwah-Zeremonien an der Kotel.