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Franz / František Fischhof

(1898 Satu Mare – 1958 New York)


Der erste Band eines Exemplars von Pele Joez – einer Art Verhaltenskodex – verfasst von Rabbiner Eliezer Papo und gedruckt 1876 in Wien, enthält einen handschriftlichen sowie einen gestempelten Besitzvermerk seines offensichtlich letzten rechtmäßigen Eigentümers:

FRANZ FISCHHOF PRAHA V/39. Maiselová 17.

Der Name Franz Fischhof begegnete uns bereits bei den Recherchen im Zusammenhang mit anderen Büchern, die nicht in seinem Besitz waren. So erscheint er in den überlieferten Zeugnissen als einer der Mitarbeiter, die unter dem Zwang der Nationalsozialisten ihre Kenntnisse der hebräischen Literatur bei der Verwertung von Büchern einsetzen mussten. Das betrifft zunächst seine Aktivitäten im Jüdischen Museum Prag - von den deutschen Besatzern als Jüdisches Zentralmuseum bezeichnet - sowie sein Wirken in der Theresienstädter Bucherfassungsgruppe, dem sogenannten Talmudkommando. Es ist auffällig, dass sich im von uns untersuchten Nachlass des Rabbiners Emil Davidovič mehrere Bücher befinden, deren Eigentümer in diesen beiden Einheiten der Bücherverwertung eine Rolle spielten. 

Geboren wurde Fischhof in dem heute zu Rumänien gehörenden Satu Mare, nahe der ungarischen Grenze, wo seit dem 18. Jahrhundert eine größere jüdische Bevölkerung ansässig war. Nach den Angaben des Sohnes in den sog. Widergutmachungsakten diente Fischhof während des Ersten Weltkriegs bei der österreichisch-ungarischen Armee und war im Anschluss daran als Kaufmann in der Wiener „Metall und Erz-Compagnie Baer und Sondheimer“ tätig. Über seine Aktivitäten in den 1920er Jahren geben einige Zeitungsartikel sporadisch Auskunft. Fischhof widmete sich in dieser Zeit jedenfalls intensiv der jüdischen Jugendarbeit zwischen Wien und Bratislava und engagierte sich in den Vereinigungen „Agudat Israel“ und „Tiferet Bachurim“. Eine Mission, der er sich verschrieben hatte, war die Vermittlung mittelloser jüdischen Jungen aus Wien an slowakische Jeschiwot. 

Vermutlich in den frühen 1920er Jahren heiratete Fischhof Irma Rivka Straußmann, geb. 1899 im ungarisch-tschechoslowakischen Grenzort Sátoraljaújhely (hebr. שאטוראליאויהיי). Das Ehepaar hatte vier Kinder: Herbert, geb. 1926; Edith Rose/Edita Růžena, geb. 1928; Irene/Irena, geb. 1930 und Friedrich/Bedřich, geb. 1934.

Während der Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1929 finden wir Fischhof erwähnt als Mitglied der in Prag erscheinenden Delegation um Abraham Aron Katz, den Oberrabbiner von Nitra. Da er als Rabbinats-Kandidat genannt wird, können wir annehmen, dass er bald darauf in Nitra ordiniert wurde.  

In den Jahren 1931-1936 gab Fischhof in Prag die „Jüdischen Jugendblätter“ heraus – als „Organ der orthodoxen (seit 1933 der gesetzestreuen) Jugend“. Das Bekenntnis zur Orthodoxie war im Prag dieser Zeit eher eine Randerscheinung, repräsentiert vor allem durch Familie Lieben, die einen maßgeblichen Einfluss auf das kulturelle Leben Prags hatte. Einige Mitglieder der Familie Lieben engagierten sich sowohl bei der Herausgabe der Zeitschrift als auch im Verein „Tiferes Bachurim“, der anfänglich als Herausgeber fungierte. 

In einem Artikel der „Jüdischen Presse“ des Jahres 1935 wird von einer Reise nach Erez Israel berichtet, die der Oberrabbiner von Nitra, Salomon David Ungar (1885-1945), angetreten hatte. Auch hier ist Fischhof einer der Begleiter des Rabbiners. 

Franz Fischhof war eng mit der Altneuschul verbunden – der bedeutendsten der Prager Synagogen. Aus den erhaltenen Dokumenten geht hervor, dass er als Beamter der Israelitischen Kultusgemeinde unterschiedliche Funktionen im Zusammenhang mit der Synagoge erfüllte: Stiftsrabbiner, Vorbeter, Kustos, als Fremdenführer und als Verkäufer von Eintrittskarten. Bereits damals war das aus dem Mittelalter stammende Gebäude ein Anziehungspunkt für Besucher und Frischhof wurde an den Einnahmen aus dem Kartenverkauf beteiligt. Irma und Franz Fischhofs ältester Sohn Herbert erhielt bereits als Vierjähriger einen festen Platz in der Synagoge. Über die Sitzverteilung wurde in den Akten Buch geführt und für die Plätze fiel eine jährliche Gebühr an. Die Familie wohnte Ende der 1930er Jahre unweit der Altneuschul und zwar in einem Gebäude, dass sich noch heute auf dem alten jüdischen Friedhof befindet. 

1937 verstarb der ehemalige tschechoslowakische Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk. Die Trauerfeier in Prag am 23. September wurde von tausenden von Menschen aus dem In- und Ausland begleitet. Seelenandachten zu Ehren Masaryks, der sich in auch seitens der jüdischen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreute, fanden in allen tschechoslowakischen Synagogen statt. Auch Léon Blum war mit einer Delegation aus Paris vor Ort. Wenige Wochen zuvor hatte er seine erste Amtszeit als französischer Ministerpräsident beendet. Während seines Aufenthalts in Prag besuchte er mit seiner Frau und seiner Tochter den jüdischen Friedhof und wurde dort von Franz Fischhof in französischer und hebräischer Sprache „als treuer Sohn unserer Religion“ begrüßt. 

Nachdem die Wehrmacht im Herbst 1938 das Sudetengebiet im Frühjahr 1939 die „Rest-Tschechei“ besetzt hatte, wurden die Vorbereitungen getroffen, Irma und Franz Fischhofs ältesten Sohn Herbert in Sicherheit zu bringen. Er war noch Schüler des Prager Staatsgymnasiums und wurde im Januar 1939 Bar Mizwah. Ende desselben Jahres erreichte er Palästina und überlebte dadurch die Schoa – als einziges der Kinder. 

Seit Errichtung des Protektorats waren es die Funktionäre der deutschen Besatzung, für die Fischhof die Tore des Friedhofs und der Altneuschul zu öffnen hatte; unter anderem erschien im Oktober 1939 Adolf Eichmann mit angeblichem Interesse für jüdisches Kulturgut. Hans Günther, der Leiter der „Zentralstelle für Jüdische Auswanderung“ in Prag zitierte Fischhof und den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Prags im August 1940 zu sich, um über geplante Filmaufnahmen in der Altneuschul zu sprechen. Es sollten dabei Mitglieder der Gemeinde in klischeehafter Erscheinung einen Gottesdienst abhalten, doch Fischhof entgegnete, „dass keine richtigen Szenen herauskommen könnten, da die Stimmung fehle. Ausserdem widerspreche es der Pietät der Altneusynagoge und ihrer Tradition.“ Daraufhin wurden Dreharbeiten mit Berufsschauspielern in Erwägung gezogen. Fischhof erlebte mehrere versuchte Anschläge auf die Synagoge und ihre Besucher, bei denen er auch tschechische Faschisten im Auftrag der deutschen Besatzer vermutete.  

Eine undatierte Liste (ca. 1943) in den Yad Vashem Archives führt Irma und Franz Fischhof als in der Philippe de Monte-Gasse 17 wohnend auf. Dabei handelt es sich um die von den Nationalsozialisten umbenannte Maiselgasse/Maiselova. Die Anschrift entspricht der, die auf dem Stempel im oben genannten Buch genannt ist. Vermutlich lebten sie dort gemeinsam mit ihren im Land verbliebenen Kindern. Viele auf dieser Liste erscheinenden Personen wohnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an ihrem bisherigen Wohnort, sondern wurden zwangsweise einquartiert. Das Mietshaus, in dem Familie Fischhof untergebracht war, lag unmittelbar neben dem bisherigen und schräg gegenüber der Altneuschul. 

Neben der Betreuung der Synagoge war Fischhof auch im Jüdischen Museum tätig, in dem unter der Aufsicht der SS, geraubtes Kulturgut eingearbeitet wurde. Franz Fischhof war dort, zusammen mit Leopold Glanzberg und Jakob Schwarz, als Fachmann für Hebraica eingesetzt. 

Anfang März 1943 wurde Familie Fischhof von Prag nach Theresienstadt deportiert. Auch hier hatte Franz Fischhof mit Büchern zu tun und zwar als Mitarbeiter in der Bucherfassungsgruppe, die im Auftrag des Berliner Reichssicherheitshauptamts geraubte Hebraica katalogisierte. Im September 1944 wurden seine Frau und seine drei Kinder nach Auschwitz geschickt – Franz Fischhof selbst 4 Wochen später. Fischhofs Kollege Dr. Otto Muneles hatte die Lagerverwaltung darum gebeten, gemeinsam mit seinem Sohn den Transport nach Auschwitz anzutreten, aber es wurde ihm verwehrt, da die Bucherfassungsarbeiten noch als wichtig im Sinne Berlins angesehen wurden. Ähnliches können wir im Falle der Fischhofs vermuten. Doch schließlich wurde auch Franz Fischhof mit dem letzten Transport von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht und von dort weiter nach Dachau/Kaufering verschickt. Im Gegensatz zu seiner Ehefrau und seinen drei Kindern erlebte er die Befreiung. 

Zunächst wurde Fischhof, wie zahlreiche andere Häftlinge in der Region, in die Erzabtei St. Ottilien gebracht und dort behelfsmäßig versorgt – die Nationalsozialisten hatten des Kloster im Jahr 1941 aufgelöst. Den Alliierten gab er einige seiner Erlebnisse zu Protokoll, wie etwa die Tatsache, dass er bei den Bucherfassungsarbeiten in Theresienstadt auch geraubte Bücher aus St. Ottilien gesehen hatte. Er berichtete weiterhin, dass er sich im KZ Kaufering darum bemüht hatte, Bestattungen nicht nur nach jüdischem Ritus durchzuführen, sondern auch nach dem Minhag al-Tenai – also nach den Gepflogenheiten, wie sie speziell für die Synagogengemeinde der Altneuschul tradiert waren. 

In den ersten Monaten nach Kriegsende bemühte sich sein einziger überlebender Sohn Herbert um eine Kontaktaufnahme, was verständlicherweise schwierig war. 1946 erkundigte er sich in St. Ottilien bei seinem Vater nach seiner Mutter und seinen Geschwistern, doch Franz Fischhof war bereits in London, um von dort in die USA auszuwandern. Dort finden wir ihn 1950 in den amtlichen Unterlagen als Frank Fischhof gemeldet. Er heiratete dort ein zweites Mal, ließ sich aber 1957 wieder scheiden und verstarb im darauffolgenden Jahr. 

Sein Sohn Herbert Schmuel Fischhof wurde 1944 – während des britischen Palästinamandats – eingebürgert und war in Israel als Rabbiner tätig. Gemeinsam mit seiner Frau betrieb er in Petach Tikwa ein Heim für mittellose Mädchen, bevor beide nach Bnei Brak übersiedelten. Dort erinnern noch heute von dreien seiner Söhne begründete Jeschiwot/Talmud-Schulen an den Namen Fischhof. 


Dank

Für die Unterstützung bei der Suche nach Nachkommen danken wir ganz herzlich Anna Rubin vom Holocaust Claims Processing Office, New York. 


Ausgewählte Quellen: 

Archiv des Jüdischen Museums Prag, Staronová Synagoga 1801-1941 (1946), Korrespondence, různé poznámky 1867-1895, 1925-1940, Spisy 20, Sign. 32670, 35347.

Vad Vashem Archives, Testimony of Franz Fischof, submitted in the context of the Dokumentacni Akce (documentation project) in Prague, 17/10/1945, O.7.cz - 230. 

Bundesarchiv Koblenz, Wiedergutmachungsakten, Verwaltungsakten BWGöD, Fischhof, Franz Frank, B 311/43574.

Arolsen Archives, diverse Unterlagen zu Frantisek/Franz Fischhof

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Vereinskataster, Verein Tiferes Bachurim Humanitärer Verein, Sign. 1.3.2.119.A32.9783/1936

Verein Tiferes Bachurim in Prag: http://katalog.ahmp.cz/pragapublica/permalink?xid=ED0A474B2D3411E0823D00166F1163D4&scan=1#scan1 

Vermisstenmeldung, aufgegeben von Herbert Fischhof, Jerusalem (Sept. 1945): https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/173706 (Scan 18)

Filmaufnahmen von Masaryks Trauerfeier in Prag, 1937: https://www.britishpathe.com/asset/174208/ 

Gold Hugo, Die Juden und die Judengemeinde Bratislava in Vergangenheit und Gegenwart (1932), S. 116: https://www.hugogold.com/Bratislava.pdf (Scan 121)

Fischhof als Herausgeber der Jüdischen Jugendblätter: KUBÍČEK, Jaromír. Česká retrospektivní bibliografie, Řada 2, Díl 2: Časopisy. Časopisy České republiky 1919-1945 (CERBI C2). Brno: Sdružení knihoven ČR, 2006. sv. 1, část 1, s. 453. ISBN 80-86249-26-3. Dostupné také z: https://www.digitalniknihovna.cz/mzk/uuid/uuid:408bb840-036b-11e4-a680-5ef3fc9bb22f 

Digitalisate der Jüdischen Jugendblätter: https://archive.org/details/judischejugendblatter 

Ancestry: Passagierliste Frantisek Fischhof (London-New York, Mai 1946) und Einbürgerungsnachweise

Familysearch: Scheidungsnachweis Frank Fischhof und Erna Ephraim

Fischhof als Mitarbeiter in der Bucherfassungsgruppe Theresiestadt: https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/130589 und https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/130578

Fachmann für Hebräisches im “Jüdischen Zentralmuseum Prag”: https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/336943 (Scan 7)

Wohnadresse auf anonymer und undatierter Einwohnerliste Prags: Yad Vashem Archives O.7.cz-91, Seite 222 (Scan 224).

JewishGen: Zensus-Daten zu Familie Fischhof

Compact Memory: Diverse Nennungen Fischhofs

Unites States Holocaust Memorial Museum, diverse Unterlagen zu Franz Fischhof

Vad Vashem Archives, Datenblätter zu Familie Fischhof

MyHeritage: Einbürgerungsunterlagen Herbert Fischhof, Palästina

Nachruf auf Herbert Fischhofs Ehefrau: https://dev.kore.co.il/viewArticle/51620 

Franz Fischhofs ermordete Familienangehörige in der Opferdatenbank holocaust.cz:

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/84652-bedrich-fischhof/

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/84661-ruzena-edita-fischhofova/

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/84656-irena-fischhofova/

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/84657-irma-fischhofova/ 


Link zum restituierten Exemplar in der Datenbank Looted Cultural Assets

Link zu einem komplett digitalisierten Exemplar von Pele Joez (The University of Chicago Library)



(Text: Ph. Zschommler)