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Israelitische Religionsgemeinde zu Dresden

Betr.: Bibl. Der Jüdischen Religionsgemeinde Dresden und die zu ihr gehörige Wünsche-Bibl.

Die Bibl. wurde durch U‘stuf. Stein vom 21.7. bis 24.7. in Dresden verpackt und nach Berlin überführt.

Kistennummern: Dresden, JRG, Nr. 1 bis 58.

Etwa 6000 Bde.

Mit dieser Aktennotiz vom Juli 1939 meldete SS-Untersturmführer Stein die Auflösung einer weiteren „Judenbibliothek“, wie sie der Sicherheitsdienst in jenen Wochen systematisch umsetzte, um sie für die sogenannte Gegnerforschung nutzbar zu machen.

Knapp 83 Jahre später kehrten drei dieser 6000 Bücher wieder nach Dresden zurück. In Heidelberg fanden wir bisher zwei Bücher mit den Stempeln, die sie als Eigentum der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden und als Teil der dazugehörigen Wünsche-Bibliothek ausweisen. Zusammen mit einem in der Bibliothek der FU Berlin identifizierten Exemplar wurden die Bände nun an die Jüdische Gemeinde zu Dresden zurückgegeben.

Im Jahr 1911 erwarb die Israelitische Religionsgemeinde zu Dresden die bedeutende judaistische Privatbibliothek des (evangelischen) Hebraisten Karl/Carl August Wünsche (1838-1913). Sie wurde nicht in die bestehende Gemeindebibliothek integriert, sondern lediglich angegliedert. Die eigens dafür angefertigten Stempel bezeugen die Stellung, die dem neuen Bestand beigemessen wurde. Im Jahr 1927 veröffentlichte die IRG einen Katalog des vorhandenen Bestands an Büchern - auch hier getrennt nach Wünsche-Bibliothek und Gemeindebibliothek. Alle drei zu restituierenden Bücher sind in diesem Katalog nachgewiesen. Die Gemeinde schaltete 1932 gleich in mehreren Zeitungen Anzeigen, um auf die Wünsche-Bibliothek aufmerksam zu machen und Interessierte als Besucher bzw. Nutzer zu gewinnen. Darüber hinaus kann spekuliert werden, ob sich die Gemeinde auch als Obhut für weitere Gelehrtenbibliotheken anbieten wollte und damit etwa mit der Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität Jerusalem konkurrierte.

Mit den Novemberpogromen ging die Beschlagnahmung der Bibliothek der Religionsgemeinde einher und im Juli 1939 wurde auf Anweisung von SS-Sturmbannführer Dr. Helmut Knochen der Abtransport der Bücher and das SD-Hauptamt in Berlin befohlen.

Im Falle der in Heidelberg identifizierten Exemplare kann im Hinblick auf den Kontext der untersuchten Sammlung von einer Verlagerung ins „Protektorat Böhmen und Mähren“ im Zuge der Luftangriffe der Alliierten auf Berlin 1943 ausgegangen werden - entweder nach Theresienstadt und/oder ins Prager Jüdische Zentralmuseum. Von dort aus gelangten sie in den 1960er Jahren im Gepäck des Rabbiners Emil Davidovič in die BRD und schließlich nach Heidelberg. Dass aber nicht der komplette Bestand der Gemeindebibliothek ins Protektorat überführt worden war, legt ein in der ZLB identifiziertes - und 2013 restituiertes - Exemplar nahe, das den Hinweis auf die Bergungsstelle 15 enthält. Möglicherweise ist über die in Berlin verbliebenen Bücher auch der Zugang des Exemplars der FU zu erklären.


Ausgewählte Literatur/Quellen:

Katalog der Bücherei der Israelitischen Kultusgemeinde zu Dresden

Verpackung und Verschickung der Bücher an das SD-Hauptamt in Berlin: BArch R 58/6424, Bl. 183-185.

Jörn Kreuzer: NS-Raubgut aus zweiter Hand. Das Schicksal geraubter Jüdischer Gemeindebibliotheken am Beispiel der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, MEDAON 15|2015

Zu (Carl/Karl) August Wünsche, Nachrufe zu seiner Person und zur Wünsche-Bibliothek:

Ancestry.de (Geburt, Heiratsregister, Todesanzeige)

Jüdische Volksstimme 1913

Die Wahrheit 1913

Die Jüdische Presse 1913

Israelitisches Familienblatt 1927

Gemeindeblatt der IRG Dresden 1927/28

Jüdische Schulzeitung 1928

Der Orden Bne Briss 1929

MGWJ 1932

Der Israelit 1932

Jüdische Schulzeitung 1932

Jüdische Bibliothek 1932

Blog-Eintrag im Portal Looted Cultural Assets


Links zu den Exemplaren in der Datenbank Looted Cultural Assets:

Peter Le Page Renouf: Vorlesungen über Ursprung und Entwickelung der Religion der alten Aegypter, Leipzig 1882;

Signatur der Wünsche-Bibliothek: A 304

Adolf Jellinek: Einleitung in die Thora. Fünf Reden, Wien 1866

Signatur der Wünsche-Bibliothek: H I 14

Franz Steinmetzer: Neue Untersuchung über die Geschichtlichkeit der Juditherzählung, Leipzig 1907

Signatur der Wünsche-Bibliothek: E I 511


(Text: Ph. Zschommler)