Sind Menschenrechte ein jüdisches Thema?
Sind Menschenrechte ein jüdisches Thema?
Die jüdische Religion ist mehr als dreitausend Jahre alt, das Konzept der Menschenrechte als universal jedem Individuum zustehenden Freiheits- und Autonomierechten ist hingegen relativ jung. Sie beziehen ihre Autorität nicht aus einem religiösen Weltbild, sondern aus der jedem Menschen eingeborenen Würde. Ist das nicht ein Widerspruch? Wie verhalten sich Menschenrechte und Judentum zueinander?
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 von der UN-Generalversammlung verabschiedet. Dort heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. Und als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland angenommen wurde, wurde ihm ein Katalog von unveränderbaren Grundrechten vorangestellt. Im Artikel 1 GG bekannten sich Staat und Volk Deutschlands zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen und „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Mit der Unterzeichnung der Bill of Human Rights, die zusätzlich auch die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst, wurde die Idee, dass alle Menschen von Geburt an über die gleichen, unveräußerlichen Rechte und Grundfreiheiten verfügen, hierzulande geltendes Recht.
Die Formulierung und Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erfolgten unter dem Eindruck der historischen Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, der nationalsozialistischen Judenverfolgung und der weltweiten Flüchtlingsströme. Der Gedanke aber, dass Menschen von Natur aus gleich seien, geht auf rechtsphilosophische Erörterungen seit dem 17. Jahrhundert zurück. Die Wurzeln davon liegen aber bereits in der Antike, im Menschen- und Weltbild verschiedener Kulturen und Religionen. Für das Judentum sind hier die Schöpfungserzählungen der Torah, besonders das Konzept der Gottesebenbildlichkeit der Menschen maßgeblich. In Gen 1,27 heißt es: „Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, im Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie“. In Gen 5,1 wird dieses Postulat wiederholt und erweitert. In den folgenden Versen wird geschildert, wie aus diesem ersten Menschenpaar die gesamte Menschheit hervorging, alle Nationen der Welt. Auf diesen Mythos, dass alle Menschen sich auf dieselben Ur-Eltern berufen können, hebt eine rabbinische Überlieferung hervor: „Deshalb ist nur ein einziger Mensch geschaffen worden: (…) wegen des Friedens der Welt, damit nicht ein Mensch zum andern sage: ‚Mein Vorfahr war bedeutender als dein Vorfahr’“ (Mischnah, Sanhedrin 4:5).
In dieser Pluralität aller Menschen, die in all ihrer Verschiedenheit doch Gottes Ebenbild verkörpern und darum denselben Anspruch auf Würde und Gleichberechtigung haben, spiegelt sich Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“.