Profil
Geschichte des Jüdischen Volkes
Juden lebten und leben in Austausch und Auseinandersetzung mit den jeweiligen Umwelten. Eine Geschichte des jüdischen Volkes richtet jedoch nicht den Blick von außen auf Juden und ihre Geschichte in externem Quellenmaterial, das oft ein durch Antijudaismus und Antisemitismus verzerrtes Bild zeichnet. Vielmehr folgt eine Geschichte des jüdischen Volkes der jüdischen Perspektive, wie sie in internen, häufig hebräischen Quellen zum Ausdruck kommt, darunter Briefe, Autobiographien oder Testamente, Memorbücher oder Grabinschriften, Protokollbücher oder Takkanot, Responsen sowie Kodizes und ihre Kommentare. Die wechselseitige Analyse beider Quellengruppen lässt Innen- und Außenperspektive miteinander kommunizieren und für die Gegenwart fruchtbar machen.
Folglich sind Lehre und Forschung interdisziplinär ausgerichtet, die Kooperation mit den Fakultäten der Universität Heidelberg und Partnern in In- und Ausland ebenso selbstverständlich wie die Berücksichtigung kulturwissenschaftlicher Fragestellungen, seien es die Ansätze von Kulturgeschichte oder Geschlechterforschung, postkolonialer Theoriediskussion oder Gedächtnistheorien.
Das Wissen um Geschichte und Herkommen des jüdischen Volkes eröffnet Horizonte zum Verständnis heutiger jüdischer Existenz. Daher ist das Spektrum der Themen in der Lehre des Faches Geschichte des jüdischen Volkes sehr weit gespannt. Behandelt werden die Ausbildung jüdischer Gerichtsbarkeit oder des Rollenverständnisses von Männern und Frauen in und seit der Antike. Die Ausformung jüdischer Gemeindeautonomie im Mittelalter ermöglichte es Juden, im Rahmen einer eigenen Korporation ihre Gesetze und ihre Religion zu leben – trotz Kreuzzügen, Brunnenvergiftungs- und Ritualmordanklagen, Inquisition und Vertreibungen. In der Frühneuzeit konsolidierte sich jüdische Existenz in den verschiedenen Territorien und den wenigen großen Städten des Alten Reiches, die Vier-Länder-Synode erlangte in Polen-Litauen weitreichenden Einfluss, Gemeinden wurden in der "Neuen Welt" gegründet, Chassidismus und jüdische Aufklärung (Haskala) gaben neue Impulse für kommende Generationen. Im Übergang zur Moderne sind die vielfältigen Wege jüdischer Emanzipation in den einzelnen Staaten ebenso zu verfolgen wie die Geschichte des Zionismus. Die Geschichte des jüdischen Volkes endet nicht mit der Schoah, so dass auch die Gründung des Staates Israel oder das Wiedererstehen jüdischen Lebens in Europa thematisiert werden.
Über die Jahrhunderte und Räume hinweg geht es immer wieder um die Konstruktion jüdischer Identitäten, ihre Selbstrepräsentation und Fremdwahrnehmung, um Strukturen und soziale Beziehungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und zur Umwelt, um die Bedeutung von Verwandtschaft, Familie, (transnationalen) Netzwerken, um jüdisches Ritual und Recht im Spannungsfeld von Eigenheit und Adaption, Tradition und Transformation, um Differenzierung zwischen Volks- und Elitenreligion, ländlichem und städtischem Judentum.
Lokale und regionale Unterschiede sollen somit wahrgenommen werden, in Deutschland wie in Spanien, Italien, Polen, Israel oder den USA. Aus dieser regionalen und lokalen Perspektive heraus erfolgt eine integrierende, kontextualisierende Darstellung, die generalisierende Aussagen ermöglicht. Ziel ist aber nicht eine Homogenisierung; vielmehr ist die Pluralität jüdischer Existenz und Kultur aufzuzeigen, sind Juden als eine Gruppe unter anderen zu verstehen, welche gemeinsam plurale Gesellschaften konstituieren, so dass immer auch die "allgemeine" Geschichte angemessen zu berücksichtigen ist.
In Kooperation mit der Ruprecht Karls-Universität Heidelberg (Inst. Geschichte, Germanistik, Europ. Kunstgeschichte, Romanistik) wird das Interdisziplinäre Masterprogramm Heidelberger Mittelalter Master angeboten.
Lehrveranstaltungen zur jüdischen Geschichte bietet auch die IGNATZ-BUBIS-PROFESSUR für Religion, Geschichte und Kultur des europäischen Judentums an.