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Joachim Astel

(Przemyśl 1901 – Auschwitz 1942)


Im Gegensatz zu handschriftlichen Besitzvermerken ist es keine Seltenheit, dass wir Namensstempel der praktikableren Handhabung wegen gleich an mehreren Stellen in einem Buch finden können. So auch in einer Ausgabe des „Kusari“, in dem sich ein Stempelabdruck auf der Titelseite und der gleiche nochmals am Ende des Registers befindet.

Der Eigentümer des Buches war laut Stempel Dr. Joachim Astel, der in amtlichen Dokumenten der Ersten Tschechoslowakischen Republik auch als Dr. Jáchym Astel in Erscheinung tritt. Geboren wurde Astel allerdings in Polen und zwar im galizischen Przemyśl. In der Geburtsmatrik werden als seine Eltern die beiden ebenfalls dort geborenen Mojzesz/Moses Astel und Mirla Astel, geb. Goldberger genannt.

In Przemyśl besuchte Astel die Volksschule und das Gymnasium, das er 1920 mit dem Abitur abschloss – die zurückliegenden Kriegsereignisse verzögerten seinen Schulabschluss um ein Jahr. Im Herbst 1920 immatrikulierte er sich an der Wiener Universität. Nach acht Semestern beschloss er seine „philosophischen Studien aus Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Verbindung mit Geographie“ mit der Dissertation „Oliver Cromwell im Urteile der Deutschen“, die von den Professoren Dr. Alfred Francis Přibram und Dr. Alfons Dopsch abgenommen wurde.

Für den Zeitraum seines ersten Semesters liegt gleichzeitig noch ein Beleg vor, gemäß dem sich Astel ebenso an der Hochschule für Welthandel in Wien eingeschrieben hatte. Über den Studienverlauf dort sowie über die dem Studium an der Universität folgenden Jahre fehlen leider verlässliche Daten zu Astels Lebensweg. Laut unterschiedlicher Aussagen, studierte Astel ebenso an der Universität Oxford, jedoch fiel eine entsprechende Anfage dort negativ aus. Möglicherweise war er an einer anderen britischen Einrichtung tätig, sei es zu Zwecken der Ausbildung oder zu Zwecken der Erwerbsarbeit. Vermutlich erlangte er zu dieser Zeit auch seine Befähigung für das Amt des Rabbiners, vielleicht in Wien oder in Preßburg. Zu einem noch unbekannten Zeitpunkt heiratete Joachim Astel die 1904 im ukrainischen Skala-Podilska geborene Frima Melzer (Tochter von Moses David Melzer und Mirjam Melzer, geb. Rapoport). Deren gemeinsames erstes Kind, Jonathan, kam im Jahr 1931 in Wien zur Welt. Im selben Jahr übernahm Astel das Amt des Gemeinderabbiners in der böhmischen Stadt Tachov/Tachau. Zwei Jahre später wechselte er mit seiner Familie den Wohnort aufgrund seiner Berufung ins mährische Kroměříž/Kremsier. Im Jahr 1935 wurde Schmarjahu geboren, der zweite Sohn des Ehepaars. Aus Anlass der Geburt ist eine Baumspende der Eltern für den „CSR-Wald“ in Palästina dokumentiert.  Zu dieser Zeit lässt sich nachweisen, dass Joachim Astel Eigentümer einer Immobilie in Berlin gewesen sein muss (Senefelder Straße 33). Dies ist bisher die einzige Spur der Familie, die ins Deutsche Reich führt – inwieweit hier etwa familiäre Verbindungen bestanden, ist unklar. In Kroměříž lehrte Astel jüdische Religion an der Schule und er engagierte sich im örtlichen Verein „Makkabi“. Dort erscheint er als Redner und Vortragender unter anderem mit dem Thema „Über den Antisemitismus“ anlässlich eines Debattenabends. Für das Jahr 1927 finden wir Joachim Astel neben Hugo Stránský als Militärrabbiner der tschechoslowakischen Reserve verzeichnet.

Die deutsche Besatzung der Tschechoslowakei leitete nicht nur die Vernichtung der Familie Astel ein, sondern auch die Auslöschung des größten Teils der jüdischen Bevölkerung von Kroměříž, die sich Ende der 1930er Jahre auf 300-400 Personen belief.

Gemäß lokaler Berichte wurde Astel im Frühsommer 1942 wegen verbotener Geflügelhaltung durch die Gestapo in Haft genommen und direkt nach Auschwitz deportiert. Als Todesdatum ist der 24. Juni 1942 vermerkt. Mit anderen Jüdinnen und Juden aus Kroměříž werden vier Tage später Frima, Jonathan und Schmarjahu nach Theresienstadt gebracht. Im Dezember 1943 wurden auch sie ins Todeslager nach Auschwitz geschickt.

Das Jüdische Museum in Prag besitzt zwei Theresienstädter Kinderzeichnungen, denen der Name Astel hinzugefügt ist. Da keine weiteren Personen mit diesem Namen in Theresienstadt dokumentiert sind, können wir mutmaßen, dass die Zeichnungen von Jonathan und Schmarjahu stammen.

Ebenso mutmaßen können wir nur hinsichtlich des „Kusari“. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ihn Frima und ihre Kinder mit nach Theresienstadt genommen hatten. Da sie sicherlich nichts über den genauen Verbleib Joachims wussten, konnten sie fälschlicherweise davon ausgehen, dass Joachim sie in Theresienstadt erwarten und sich über die mitgebrachte Lektüre freuen würde. Dies ist eine Möglichkeit – eine zweite wäre die Konzentration des Hausrats aus liquidierten Wohnungen im „Protektorat“ in Prag, darunter könnten sich auch die Bücher aus dem Haushalt der Familie Astel befunden haben.

Das Buch übergaben wir im Frühjahr 2023 der Familie einer der überlebenden Brüder von Joachim Astel in Israel. Durch die Recherchen konnte auch der Kontakt zwischen den Angehörigen und der Stadt Kroměříž hergestellt werden, wo bereits 2017 vier Stolpersteine vor der einstigen (Rabbiner-)Wohnung der Familie Astel verlegt worden waren.


Dank

Wir danken Shulamit Rosenthaler vom Magen David Adom, dem Team des Archivs der Universität Wien, Dr. Šárka Kašpárková von der Stadtbücherei in Kroměříž für den Austausch von Rechercheergebnissen sowie den Angehörigen der Familie Astel für den vertrauensvollen Kontakt.


Ausgewählte Quellen

Link zum "Kusari" in der Datenbank Looted CUltural Assets

Genealogische Aufzeichnungen, insbesondere via Geni.com, Myheritage.de und JewishGen.org

Daten zur Verfolgung u.a. in den Arolsen Archives und in den Yad VaShem Archives

Zwei (Kinder-) Zeichnungen aus Theresienstadt, signiert mit „Astel“:

https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/224261

https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/212757

Polish Roots in Israel: Michael Astel about his family from Przemyśl (2008): https://sztetl.org.pl/en/towns/p/167-przemysl/104-texts-and-interviews/194089-polish-roots-israel-michael-astel-about-his-family-przemysl

Artikel über die Stoplersteinverlegung: Poslední kroměřížský rabín a jeho blízcí mají své „kameny zmizelých“: https://www.idnes.cz/zlin/zpravy/kameny-zmizelych-joachim-astel-rodina-kromeriz-rabin-zid.A171101_361641_zlin-zpravy_ras

Joachim Astel (1901-1942)

https://www.enkm.cz/joachim-astel

https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Astel (dort auch weiterführende Literatur)

Geburtseintrag: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/13, Akta 565, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=13 (Scan 302)

Gold, Hugo: Židé a židovské obce v Čechách v minulosti a v přítomnosti, Brünn 1934, S. 638

Nennung als Militärrabbiner: https://www.digitalniknihovna.cz/dsmo/view/uuid:55f2ea00-c576-11df-a66a-000d606f5dc6?page=uuid:70142cb0-c1a1-11df-b233-000d606f5dc6

Photo der „Allgemeinen Bürgerlegitimation“ aus der Protektoratszeit: https://www.idnes.cz/zlin/zpravy/kameny-zmizelych-joachim-astel-rodina-kromeriz-rabin-zid.A171101_361641_zlin-zpravy_ras/foto/RAS6f1db3_54_OTVIR_2_ZLIN_6409234_CMYK.jpg

Eintrag als Eigentümer des Anwesens Senefelder Straße 33 in Berlin, Berliner Adressbuch aus dem Jahr 1935: https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1935/4697/LOG_0377/

Register von Studierenden an der Hochschule für Welthandel in Wien: https://www.geshergalicia.org/members/image-viewer/?id=vienna_students_hochschule_fur_welthandel_1919-1938&scan=00516

Promotionsunterlagen der Universität Wien: Archiv der Universität Wien, PH RA 5898

Eintrag in der Datenbank „Auschwitz Prisoner Photos“: https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=6880975 bzw. https://www.auschwitz.org/en/museum/auschwitz-prisoners/

Frima Astelová, geb. Melzer (Ehefrau, 1904-1943)

Geburtsregister: http://agadd.home.net.pl/metrykalia/300/sygn.%202679/pages/1_300_0_0_2679_0048.htm

https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-astelova-frima

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/75136-frima-astelova/

Jonathan Astel (Kind, 1931-1943)

https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-astel-jonathan

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/75137-jonathan-astel/

Schmarjahu Astel (Kind, 1935-1943)

https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-astel-schmarjahu

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/75138-schmarjahu-astel/

Wilhelm (WIllek) Klemens Zeev Astel (Bruder, 1906-1971)

Geburtsregister: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/29, Akta 316, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=29 (Scan 256)

Hilary/Hilarius (Chillek/Chiel) Astel (Bruder, 1896-?)

Geburtsregister: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/11, Akta 639, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=11 (Scan 266)

Register von Studierenden an der Hochschule für Welthandel in Wien: https://www.geshergalicia.org/members/image-viewer/?id=vienna_students_hochschule_fur_welthandel_1919-1938&scan=00516

Leo(n) Astel (Bruder)

Glückwünsche zur Verlobung 1919: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2986290?query=%22leo%20astel%22

Israel Astel (Bruder, 1897-1899)   
Geburtsregister: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/11, Akta 506, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=11 (Scan 418)

Sterberegister: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/25, Akta 61, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=25 (Scan 231)

Leib/Leiba Dawid Astel (Bruder, 1893-?)

Geburtsregister: Archiwum Państwowe w Przemyślu, Zespół 1924: Akta stanu cywilnego Izraelickiej Gminy Wyznaniowej w Przemyślu, Sygnatura 56/1924/0/10, Akta 248, https://skany.przemysl.ap.gov.pl/show.php?zesp=1924&cd=0&ser=0&syg=10 (Scan 56)


(Text: Ph. Zschommler)