Samuel Steinherz
(1857 Güssing - 1942 Theresienstadt)
Anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums veröffentlichte Dr. Ignaz Ziegler, der langjährige Rabbiner von Karlsbad, die Schrift "Dokumente zur Geschichte der Juden in Karlsbad: 1791-1869" (1913).
Ein Exemplar davon widmete er dem in Prag lehrenden Professor Samuel Steinherz:
Herrn Prof. Dr. S. Steinherz verehrend
zugeeignet
Karlsbad, 16.4.27
I Ziegler
Samuel Steinherz (geb. 1857 in Güssing/Burgenland) hatte sich erst in den 1920er Jahren im Rahmen seines Studiums der jüdischen Geschichte zugewandt. Als in Wien und Graz ausgebildeter Historiker/Medienwissenschaftler hatte er sich zuvor mit der Edition der päpstlichen Nuntiaturberichte aus dem Vatikan einen Namen gemacht. Wohl wissend, dass er als Jude in diesen Disziplinen mit Widerständen zu kämpfen hatte, promovierte Steinherz 1894 parallel zu seinem Jurastudium, um den Unterhalt seiner Familie gewährleisten zu können. Mit seiner Frau Sophie, geborene Kestel, hatte er sechs Kinder - sie hatten 1896 in der Wiener Hauptsynagoge, dem Stadttempel, geheiratet. 1901 zog die Familie nach Prag, wo Steinherz zum außerordentlichen Professor für Geschichte an der Deutschen Universität ernannt wurde. Sieben Jahre später wurde er ordentlicher Professor. Es war üblich, dass der dienstälteste Professor das Amt des Rektors übernahm, und so sollte Steinherz 1922 diese Ehre zuteil werden. Es war aber auch üblich, dass das Amt - wenn es an einen jüdischen Professor fiel - von diesem abgelehnt werden sollte. Steinherz hielt sich zunächst nicht an diesen Brauch, was zu starken Protesten in der überwiegend deutsch-nationalen Studentenschaft führte. Nachdem sich weniger als ein Drittel des Lehrkörpers solidarisch zeigte, beugte sich Steinherz der Mehrheit und trat im Frühjahr 1923 vom Rektorat zurück. In den folgenden Jahren widmete er sich verstärkt der tschechisch-jüdischen Geschichte. Einer der Gründe dafür war wohl eine Anfrage der Loge Praga des Unabhängigen Ordens B'nai B'rith (Großloge für den Čechoslowakischen Staat), eine Edition der Geschichte der Juden in Böhmen und Prag vorzubereiten. 1928 gründete die Großloge die Gesellschaft für die Geschichte der Juden in der Čechoslovakischen Republik (Společnost pro dějiny židů v Československé republice), für die Steinherz seitdem das Jahrbuch herausgab.
Im Juli 1942 wurden Samuel Steinherz und seine Frau Sofie (Žofie Steinherzová) nach Theresienstadt deportiert. Wie viele andere Wissenschaftler versuchte der fast erblindete Steinherz, dem Leben im Lager durch Vorträge einen Hauch von Normalität zu geben. Es waren wohl die unerträglichen Bedingungen vor Ort, die Steinherz am 16. Dezember 1942 - es war sein 85. Geburtstag - das Leben kosteten. Ein halbes Jahr später starb seine Frau Sophie. Nur ihre beiden Kinder Anna und Rudolf überlebten die Shoa. Tochter Anna überlebte im Exil in Großbritannien. Anna, eine promovierte Germanistin, war mit dem Mathematiker Dr. Artur Winternitz verheiratet. Beide hatten einen Sohn und einen Enkel, dem wir im Juli 2020 das Buch seines Urgroßvaters überreichen konnten.
Sohn Rudolf konnte mit seiner Frau Gertrud geb. Bloch (aus Wien) nach Palästina auswandern.
Dank
Bei der Suche nach Nachkommen von Samuel Steinherz wurden wir dankenswerterweise von Sabine Loitfellner von der IKG Wien und Anne Webber von der Commission for Looted Art Europe unterstützt. Dank auch an Dr. Martha Keil für ihre Mitarbeit, die zeitgleich mit unserer Suche nach Steinherz' Erben für die unten genannte Publikation recherchierte.
Besonders freuen wir uns über den Kontakt zu Rudolf Steinherz' Enkelin Dr. Tal Yaar-Waisel, die derzeit die Familiengeschichte im Umfeld ihrer Großmutter Gertrud (Rachel) Bloch erforscht. Sie machte uns auf weitere veröffentlichte Archivalien aus dem Besitz ihrer Mutter Susanna Waisel geb. Steinherz im Archiv des Ghetto Fighters' House aufmerksam. Darunter befinden sich Dokumente der Familie Bloch sowie Dokumente von und über Samuel Steinherz.
Ausgewählte Quellen
Keil, Martha: Samuel Steinherz (Jüdische Miniaturen Band 254), Berlin 2020
https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/127127-samuel-steinherz/
Link zum Exemplar in der Datenbank Looted Cultural Assets
(Text: Ph. Zschommler)