Hast du einen Lieblingsfeiertag?
Hast du einen Lieblingsfeiertag?
Jeder Feiertag hat seinen besonderen Charakter, geprägt von der Jahreszeit, dem Inhalt dieses Festes, den spezifischen Ritualen, Speisen und Bräuchen dieses Tages. Gibt es darunter einen Lieblingsfeiertag? Und wenn ja, warum gerade dieser Tag?
Das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschanah fällt auf den 1. Tischrej, es wird also im Herbst begangen. Mit ihm beginnt eine neues jüdisches Jahr. Zugleich eröffnet es die Zehn Tage der Umkehr, die ihr Ziel am Jom Kippur am 10. Tischrej finden. Es ist eine Zeit der inneren Einkehr, der Prüfung des eigenen Lebensweges in den vergangenen zwölf Monaten, aber nicht nur. Trotz des ernsten Charakters dieser Feiertage mögen viele Erwachsene diese Zeit, weil sie einen veranlasst, der Hektik und Schnellebigkeit des Alltags zum Trotz innezuhalten und Korrekturen vorzunehmen. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Beziehungen zu anderen Menschen innerhalb der Familie, des Bekanntenkreises, des persönlichen Umfelds. Viele Bräuche (Grußkarten, Versöhnung) zielen auf die Verbesserung der Beziehungen. Die Mahlzeiten zu Rosch Haschanah sind sehr festlich und gesellig, ein größerer Familien- und Freundeskreis kommt dafür zusammen. Für diejenigen, die zu Jom Kippur fasten, haben auch die Mahlzeiten vor Beginn und nach Ende des Fastens in der Familie einen intimen Charakter.
Schon bald nach Jom Kippur geht es weiter mit den Feiertagen. Am 15. Tischrej beginnt Sukkot, das einwöchige Laubhüttenfest. Meist sind es die Gemeinden, die eine solche Laubhütte errichten, dann neben den Synagogen, Altersheimen, Schulen und Kindergärten. Diese Hütten sind bunt geschmückt, mit Früchten, Girlanden, Zeichnungen, ihr entscheidendes Merkmal ist jedoch das Dach, das durchlässig sein und nur aus Zweigen und Blättern bestehen soll. Dort werden dann Mahlzeiten eingenommen oder auch Gemeindeveranstaltungen durchgeführt. Warum bauen sich nur wenige Juden und Jüdinnen eine private Sukkah als provisorische Behausung während dieser Zeit? Zum einen liegt das an den hiesigen Breiten, wo das Herbstwetter, oft kühl und regnerisch, es unmöglich macht, in einer Laubhütte zu essen oder sogar zu schlafen. Zum anderen haben in einer Stadtwohnung viele keine Gelegenheit dazu oder befürchten, sich damit vor den Nachbarn als jüdisch zu „outen“.
Sukkot findet seinen Abschluss am achten Tag mit dem Feiertag von Schmini Azeret, der am Folgetag in das Fest der Torahfreude, Simchat Torah, übergeht. An diesem Tag wird in den Synagogen die Vollendung des einjährigen Lesezyklus der Fünf Bücher Mose begangen, indem festlich das letzte Kapitel gelesen und gleich darauf wieder von vorn, mit der Schöpfungserzählung begonnen wird. Dies sind sehr fröhliche Synagogengottesdienste, in denen mit den Torahrollen getanzt wird, es gibt Bonbonregen und viele Segenssprüche.
In der dunklen Winterzeit erhellt das Lichterfest Chanukka die Gemüter. Er erinnert an den Sieg der Makkabäer über die hellenistischen Besatzer und die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels. In Vergegenwärtigung des Wunder, dass dabei ein Ölkrüglein ausgereicht haben soll, den großen Tempelleuchter nicht nur einen, sondern acht Tage am Brennen zu halten, wird über acht Abende lang jeweils ein weiteres Licht am Chanukkaleuchter entzündet. Dazu wird gesungen, viel in Öl Gebackenes wie typischerweise Latkes (Kartoffelpuffer) und Sufganijot („Berliner“, Donuts) gegessen, das Dreidel-Spiel gespielt und die Kinder beschenkt. Die Chanukkiot, die speziellen achtarmigen Leuchter werden ins Fenster gestellt, um der Welt von diesem Wunder zu künden. Daraus ist in den letzten Jahren der Brauch erwachsen, auch auf städtischen Plätzen große Chanukkiot zu entzünden, in Gegenwart von Bürgermeistern, Politiker*innen und der allgemeinen Öffentlichkeit, um so deutlich zu machen, dass auch die jüdische Gemeinschaft Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist.
Ebenfalls mitten in den Winter fällt auch Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume am 15. Schwat. In Israel blühen dann schon die ersten Bäume und Sträucher, an diesem Tag werden auch Bäume gepflanzt. Hierzulande aber beschränkt man sich auf das von jüdischen Mystikern begründete Ritual des Tikkun oder Seders, bei dem viele verschiedene Früchte und Nüsse gegessen, dazu Wein getrunken sowie Texte und Lieder vorgetragen werden, die von der Bedeutung der Bäume handeln. In den letzten Jahren ist dieses Fest zu einem Anlass geworden, um ökologische Fragen und die Verantwortung für die Umwelt ins allgemeine Bewusstsein zu heben.
Am 14. Adar, also im Februar/März, wird Purim gefeiert, das Fest in Erinnerung an die Errettung der jüdischen Gemeinschaft Persiens vor der mörderischen Auslöschung. Es beruht auf der Erzählung des biblischen Esther-Buchs, wird karnevalistisch, mit Kostümen und viel Klamauk begangen. Meist ist es das Lieblingsfest von Kindern, aber auch die Erwachsenen haben ihren Spaß dabei, denn die Konsumtion von Alkohol und guten Speisen gehört zu den Geboten dieses Feiertags.
Vier Wochen später folgt Pessach, das achttägige Fest des Auszugs aus Ägypten, das wohl am stärksten in den Alltag der meisten jüdischen Haushalte eingreift. Schon in Vorbereitung darauf wird die ganze Wohnung gründlich gereinigt und von Teigwaren befreit. Es soll statt dieser nur „ungesäuertes“ Brot (Matzah) und aus Matzemehl hergestellte Backwaren gegessen werden. Religiöse Jüdinnen und Juden verfügen über eigenes Geschirr für Pessach, das für über die Festtage hinweg den sonst üblichen Hausrat ersetzt. Den Auftakt findet das Fest dann mit dem Seder, einer sich über viele Stunden hinziehenden Mahlzeit, die einem bestimmten Ablauf folgt. Dabei wird die Haggadah vorgetragen, eine Nacherzählung des Auszugs mit symbolischen Speisen, Liedern und Texten, traditionellen und modernen Auslegungen, damit sich jede Person so fühlen kann, als sei sie selbst aus Ägypten, aus der Knechtschaft in die Freiheit ausgezogen. Der Seder ist ein Ereignis im Kreis der Familie und von Freunden, in den jüdischen Gemeinden Deutschlands ist es üblich, ihn auch mit gemeindlichen Sederabenden zu begehen, um allen diese Erfahrung zu ermöglichen.
Pessach und der darauffolgende Feiertag von Schawuot am 6./7. Siwan sind durch das Band der Omerzeit verbunden. Diese fünfzig Tage verknüpfen das Fest der Befreiung aus der Knechtschaft mit dem Fest der Offenbarung der Torah am Sinai. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht die Lesung dieses Ereignisses mit den Zehn Geboten (Ex 19-20), hingegen für die kulinarische Feier dreht sich alles um Milchspeisen, Käsekuchen, quarkgefüllte Eierkuchen und vieles andere mehr. In Ehrung der Gabe der Torah veranstalten die Synagogen einen Tikkun, eine Lernnacht, wo bis spät in die Nacht oder sogar bis zum nächsten Morgen biblische und rabbinische Texte studiert werden oder auch Lehrveranstaltungen zu anderen jüdischen Themen stattfinden.
In die Sommermonate fallen die Fastentage des 17. Tammus und des 9. Aw, die an die Zerstörung von Stadt und Tempel Jerusalems erinnern. Am Tisch’ah Beaw (9. Aw) wurde sie vollzogen, des Ersten Tempels im Jahr 587 v.d.Z. durch die Babylonier, des Zweiten Tempels im Jahr 70 n.d.Z. durch die Römer. Es ist ein trauriger Tag, auch „Das Schwarze Fasten“ genannt, weil über 25 Stunden hinweg auf Speisen und Getränke verzichtet wird, das Licht in den Synagogen gedimmt ist und man auf Schemeln oder auf der Erde sitzt. Es werden viele Trauergesänge vorgetragen, auch die Klagelieder Jeremiae werden in einer bestimmten klagenden Melodie rezitiert. Den alten liturgischen Dichtungen über die Tempelzerstörung wurden über die Jahrhunderte auch Texte und Gesänge über spätere Verfolgungen jüdischer Gemeinden zugefügt. Auch Gedichte und Erinnerungsberichte über die Schoah werden vorgetragen, und vermutlich werden sich dem bald auch Texte über den 7. Oktober 2023 hinzugesellen.