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Lebst du mit dem Jüdischen Kalender?

Lebst du mit dem Jüdischen Kalender?

Wer wissen will, wann die jüdischen Feiertage begangen werden, muss in zwei Zeitrechnungen zuhause sein. Der jüdische Jahreskreis unterscheidet sich vom Gregorianischen Kalender, die jüdischen Feste sind keine staatlichen Feiertage – woher weiß man also, wann sie sind? Welche Marker weisen auf sie hin?

Der jüdische Jahreskreis richtet sich an Sonne und Mond zugleich aus („lunisolarer Kalender“). Die zwölf Monate folgen dem Mondzyklus, beginnen also mit Neumond und sind 29 bzw. 30 Tage lang. Ein Mondjahr dauert also 354 Tage – demzufolge ergibt sich eine Differenz von 11 Tagen zum Sonnenjahr mit seinen meist 365 Tagen. Weil aber viele Feiertage, wie z.B. die Wallfahrtsfeste Pessach, Schawuot und Sukkot zugleich Erntefeste sind, ist es wichtig, dass sie in ihrer jeweiligen Jahreszeit verbleiben. Ein Fest der Weizenernte (Schawuot) muss eben im Frühsommer begangen werden und soll nicht durch die Jahreszeiten wandern. Um das zu gewährleisten, gibt es in einem Zyklus von 19 Jahren sieben Schaltjahre. Das bedeutet, dass etwa alle drei Jahre ein zusätzlicher Monat eingeschoben und das Jahr dann 13 Monate hat. Der jüdische Jahreskreis verschiebt sich also immer gegenüber dem Gregorianischen Kalender, aber nur in einem Ausmaß von vier bis fünf Wochen. Die Feste bleiben so in ihrer Jahreszeit.

Der jüdische Kalender wurde ursprünglich durch Beobachtung der Himmelskörper bestimmt. Sobald Menschen die kleine Sichel des Neumonds gesehen hatten, kamen sie zum rabbinischen Gerichtshof, dem Sanhedrin, und bezeugten dort diese Sichtung. Der Vorsitzende des Sanhedrins rief dann den Beginn des neuen Monats aus, man sandte Boten und Feuerzeichen aus, um dies den jüdischen Gemeinden im Land Israel und in der Diaspora mitzuteilen. Im 4. Jahrhundert n.d.Z. wurde der Kalender durch Berechnung fixiert. Man war also nicht mehr auf die Ausrufung des rabbinischen Gerichts angewiesen, um zu wissen, wie die nächsten Feiertage fallen. Seit Erfindung des Buchdrucks gab es gedruckte Kalender, heute benutzen viele Juden und Jüdinnen Webseiten oder Apps auf ihren Smartphones, um sich zu orientieren. Alle Feste, Gedenk- und Fastentage folgen den jüdischen Monaten; auch persönliche Daten wie Todestage („Jahrzeit“) werden meist nach dem jüdischen Kalender begangen.

Die Namen der zwölf Monate gehen auf das Babylonische Exil zurück (6. Jahrhundert v.d.Z.), sie reflektieren mesopotamische Monatsnamen. Kalendarisch gibt es zwei Jahresanfänge: Neujahr (Rosch Haschanah) fällt auf den 1. Tischrej im Herbst, während die Zählung der Monate im Frühjahr beginnt, mit Nissan als erstem Monat. Die Jahreszahlen hingegen werden auf die Schöpfungserzählung der Torah zurückgeführt – um 3761 v.d.Z. habe Gott das Schöpfungswerk vollbracht. Das gegenwärtige Jahr 2024 entspricht also dem jüdischen Jahr 5784.

Die Diskrepanz zwischen Jüdischem und Gregorianischem Jahr greift dann in den Alltag von Jüdinnen und Juden in Deutschland ein, wenn sie auf Grund der Feste arbeits- oder schulfreie Zeiten benötigen. In vielen Kalendern sind nur christliche und staatliche Feiertage verzeichnet, die jüdischen Feiertage (und die anderer Religionen) aber nicht - sie sind darum selten im Bewusstsein von Schulleitungen und Arbeitgebern präsent. Auch in den Medien kommen diese Zeiten kaum vor, allenfalls als Exotikum, weil sie als lediglich für Minderheiten der Bevölkerung relevant gehalten werden. Wohl haben alle Bundesländer eigene gesetzliche Regelungen für die Arbeitsbefreiung an jüdischen Feiertagen, aber in der Praxis kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, wenn in Schule und Universität Klausuren und Prüfungen, in der Arbeitswelt wichtige Besprechungen auf jüdische Feiertage gelegt werden.