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Ein Leuchtturm in einer sorgenvollen Zeit

Pressemitteilung

„In dieser sorgenvollen Zeit und vor allem nach den Ereignissen am 7. Oktober, die uns alle betroffen gemacht haben, möchte ich mit meinem Besuch ein kleines Zeichen der Verbundenheit setzen,“ so startet der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stephan Harbarth, seinen Besuch der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Gleich zu Beginn wurde klar, wie wichtig ihm sein Kommen war – als ganz persönliches Anliegen, dem Antisemitismus etwas entgegenzusetzen. Die Hochschule bezeichnete Harbarth als „besonderen Leuchtturm des blühenden Jüdischen Lebens in Deutschland“.

Von Seiten der Hochschule startete Professor Ronen Reichman, Inhaber des Lehrstuhls Talmud, Codices und Rabbinische Literatur, die Vorstellungsrunde. Er sprach als Mitglied des Forums für den Vergleich der Rechtsdiskurse der Religionen. Dessen Ziel ist es, wissenschaftliche Gespräche zu Grundfragen der unterschiedlichen Rechtstraditionen, zu fördern und vergleichende Perspektiven zu ermöglichen. Gegründet bereits 2015, wird das Forum geleitet von Vertreter:innen der drei monotheistischen Religionen: Islam, Christentum und Judentum. Gerade das Thema des letzten Treffens im Jahr 2023: Die interne Sicht und Positionierung von Religion in Bezug auf weltliche/politische Macht, knüpfte aus Reichmans Sicht an den aktuellen Bezugsrahmen in Israel an. Dort gingen die Menschen gegen die geplanten, so genannten Justizreformen auf die Straße, bewies sich Israel über ein ganzes Jahr hinweg als „wehrhafte Demokratie“ und die Relevanz und Gefahr sei noch aktuell, so Reichman: „Diese demokratiegefährdende Maßnahme zeigt einen Versuch, den Grundsatz der politischen Gewaltenteilung durch die radikale Schwächung der judikativen Instanz zu brechen.“ Die Zukunft Israels hänge auch davon ab, welche Interpretation der rechtlichen Definition als Jüdisch-demokratischer Staat sich im gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Diskurs durchsetzen werde.

Professor Harbarth fügte hinzu, dass Besucher:innen des Israelischen Hohen Gerichts just zu dieser Zeit der Demonstrationen zu Gast beim Bundesverfassungsgericht waren, jedoch am Tag nach der Verabschiedung des ersten Teils der Justizreform ihre Reise abbrachen und nach Israel zurückkehrten, um sich den Eilfällen widmen zu können. Ebenso betonte er, wie essenziell die Judikative für das System der Gewaltenteilung in Israel sei.

Die Zusammensetzung seines noch recht neuen Graduiertenkollegs Ambivalent Enmity erläuterte Professor Becke, der den Lehrstuhl für Israel- und Nahoststudien leitet, und gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Universität Heidelberg das Kolleg letztes Jahr ins Leben gerufen hat. So steht der Begriff „Enmity – Feindschaft“ zwar stets im Mittelpunkt, doch die Blickrichtungen kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Das Kolleg vereint Wissenschaftler:innen für Osteuropa und den Nahen Osten mit Ansätzen aus der Geschichte, Linguistik, Literaturwissenschaft, Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte. Vielfach sei auch eine Faszination für den Feind / die Feindin zu beobachten, die zum Beispiel von Sprache und Kultur ausgehe, so Becke. Ziel der Forschungen sei es, ein vielschichtigeres, inklusiveres Verständnis für Konflikte, aber auch deren Lösungen zu erhalten.

Nicht zum ersten Mal dagegen stellte Rawan Osman ihr Projekt ArabsAsk vor, das sie gemeinsam mit Lukas Stadler und David Lüllemann ins Leben gerufen hat. Jedoch scheint der Zeitpunkt nie brennender und Osman nie überzeugter von der Notwendigkeit ihres Handelns: ArabsAsk besteht aus kurzen Videos auf TikTok und Instagram, in denen Osman aktuelle politische und gesellschaftliche Themen auf Arabisch erläutert: den Nahostkonflikt, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus – Themen die polarisieren und schlimmstenfalls auch radikalisieren. Gemeinsam mit Ihren Kommilitonen gründete sie nun am 18. Januar nun den Trägerverein Post7October e. V., um sich auf ein stabiles Fundament für alle weiteren Schritte verlassen zu können. Der Verein wird von der Hochschule und deren Freundeskreis aktiv unterstützt.

Ob mit oder ohne Unterstützung: Die Studierendenvertretung der Hochschule ist seit dem 7. Oktober noch aktiver als zuvor. Überregionale Netzwerke werden geknüpft und Veranstaltungen gemeinsam bestritten, neue Formate diskutiert und im nächsten Semester ausprobiert. Über die vielen Aktivitäten berichtete die Studierende Cornelia D’Ambrosio, die zusätzlich ihre eigene Zerrissenheit in der eigenen Heimat Deutschland beschrieb. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts fragte, hörte zu und hakte nach, ging über vom Sachlichen ins Persönliche und ließ so den Studierenden den Raum, auch ihre ganz subjektiven Erfahrungen zu schildern.

Bei einem Rundgang durch die Hochschule stellte Bibliotheksleiterin Angelika Stabenow die Bibliothek mit ihren etwa 50.000 Büchern vor, darunter ein Buch aus dem Bestand der 1801 gegründeten Jakobson-Schule Seesen. Stabenow leitete über zum Heidelberger Talmud. Dieser war bereits 1948 von der Heidelberger Druckerei Carl Winter im Auftrag der U.S.-Armee gedruckt worden, um den befreiten Juden in der amerikanischen Zone mehrere Ausgaben aushändigen zu können. Als Vorlage diente der der Wilnaer Talmud. Das Titelblatt zeigt eine Zeichnung eines verlassenen Konzentrationslagers auf der einen und dem Land Israel als Zukunftshoffnung auf der anderen Seite.

Den Ausklang bildete das Gespräch mit Rabbi Shaul Friberg, der von seiner regulären Arbeit, seinen interreligiösen Dialogen und Trialogen, aber auch dem exorbitant angestiegenen seelsorgerischen Bedarf seit dem 7. Oktober berichtete. Es war Friberg, der nach dem 7. Oktober darauf bestand, die monatliche Schabbatfeier nicht ausfallen zu lassen und der trotz eigener Betroffenheit dazu aufrief, nicht kleinbeizugeben.

Mit seinem Besuch und seinem ehrlichen Interesse ermunterte auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts die Hochschule auf indirekte Weise zum Weiterdenken, Weiterentwickeln und Weiterwachsen.