Um den veränderten Rahmenbedingungen für jüdisches Leben im Land Rechnung zu tragen, hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann zusammen mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften (IRGen) Baden und Württembergs am Freitag (8. November) in Stuttgart einen Änderungsstaatsvertrag unterzeichnet. Ziel ist es, die Leistungen des Landes für den Schutz jüdischer Einrichtungen zu verstetigen und das deutsch-jüdische Kulturerbe als sichtbares Zeichen jüdischen Lebens zu stärken.
„Das Land Baden-Württemberg und die jüdischen Gemeinschaften stehen zusammen. Wir treten Antisemitismus gemeinsam entschieden entgegen und sichern die Zukunft jüdischen Lebens bei uns – auf dass der 2010 mit dem Staatsvertrag gemeinsam gepflanzte Baum weiter wächst und stärker wird“, so Ministerpräsident Kretschmann bei der Unterzeichnung.
Der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl unterstrich: „Der barbarische Terroranschlag der HAMAS auf den Staat Israel am 7. Oktober 2023 hat sich tief in unser aller Gedächtnis geprägt. Dieser Tag hat das Leben der Jüdinnen und Juden auch hier bei uns in Baden-Württemberg verändert. Jetzt gilt es mehr denn je, dass wir zusammenhalten. Jüdinnen und Juden sollen nicht nur objektiv sicher sein, sondern sich in unserem Land auch sicher fühlen. Dafür tragen wir Sorge. Wir stehen fest an ihrer Seite.“
Kultusstaatssekretärin Sandra Boser ergänzte: „Die Ereignisse und gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen uns, dass das seit Jahrhunderten in Baden-Württemberg beheimatete jüdische Leben heute leider wieder gefährdet ist. Mit dem Änderungsvertrag unterstreichen wir die Bemühungen, jüdischem Leben in Baden-Württemberg weiterhin eine sichere religiöse Heimat zu bieten. Jüdisches Leben ist ein wichtiger Teil Baden-Württembergs.“
Staatsvertrag zwischen Baden-Württemberg und IRGen seit 2010
Dass jüdisches Leben zu Baden-Württemberg gehört, hat ein bereits 2010 geschlossener Staatsvertrag des Landes mit den IRGen bekräftigt. Er regelte Angelegenheiten der jüdischen Religionspraxis, wo sie mit staatlicher Rechtsordnung in Berührung kommen, beispielsweise bei Friedhöfen, Feiertagen und dem Religionsunterricht. 2021 wurde – auch als Reaktion auf den antisemitistischen Anschlag in Halle (Saale) – eine auf drei Jahre angelegte zusätzliche Sicherheitsvereinbarung geschlossen, da der Bedarf der jüdischen Gemeinden an Sicherheitspersonal und -einrichtungen gestiegen war. Die Gefährdungslage für jüdisches Leben ist seither weiterhin auf einem hohen Niveau, so dass der Staatsvertrag nun dauerhaft angepasst wird.
Prof. Barbara Traub, Vorstandssprecherin der IRG Württembergs, sagte: „In den Jahren seit Unterzeichnung des ersten Staatsvertrags ist ein starkes Band des Vertrauens zwischen unseren Gemeinden und dem Land gewachsen. Und es ist in unserem Land ein unglaublich reges und resilientes jüdisches Leben entstanden, was nun auch in einer Vertragsform Ausdruck findet. Es wird zudem den Sicherheitsanliegen der jüdischen Gemeinden Rechnung getragen und unser Jüdisches Bildungswerk Baden-Württemberg erhält Planungssicherheit für die nächsten Jahre, damit es sich entwickeln kann, wofür wir dem Land Baden-Württemberg außerordentlich dankbar sind.“
Der Vorsitzende der IRG Baden, Rami Suliman, betonte: „Die jüdische Gemeinschaft in Baden-Württemberg begreift sich als integraler Teil der Zivilgesellschaft des Landes. Das Sicherheitsgefühl und die tatsächliche Sicherheitslage für Jüdinnen und Juden im Land haben sich in den letzten Jahren leider deutlich verschlechtert. Die Neufassung des Staatsvertrages zum jetzigen Zeitpunkt ist das richtige und wichtige Signal für eine nachhaltige, mittelfristig zukunftssichere und verlässliche Aufstellung der jüdischen Gemeinschaft im Land. Wir danken den im Land Verantwortlichen für das vertrauensvolle Zusammenwirken zur Stärkung der religiösen und kulturellen Vielfalt.“
Schutz jüdischer Einrichtungen verstetigen – Antisemitismus durch Bildung verhindern
Konkrete Änderungen am Staatsvertrag betreffen zum einen den Bereich Sicherheit. So werden die Finanzmittel für Sicherungspersonal und Wartung von Sicherheitseinrichtungen aufgestockt.
Auch ein lebendiges, in die gesamte Gesellschaft ausstrahlendes jüdisches Gemeindeleben soll dazu beitragen, antisemitische Taten zu verhindern bzw. die dahinterstehende Ideologie gar nicht erst entstehen zu lassen. Erhöhte Finanzmittel werden daher auch in Bildung gesteckt: Die Förderung für das neue jüdische Bildungswerk wird nach einer Anschubfinanzierung in der Sicherheitsvereinbarung von 2021 jetzt verstetigt. Zudem steigt die Förderung des deutsch-jüdischen Kulturerbes.
Insgesamt erhöhen sich die Leistungen des Landes gegenüber dem bisherigen Staatsvertrag um jährlich rund 2,37 Millionen Euro. Davon entfallen auf die Finanzierung von Sicherungsmaßnahmen gut 1,5 Millionen Euro und auf die Unterstützung des jüdischen Bildungswerks rund 150.000 Euro. Das deutsch-jüdische Kulturerbe wird mit rund 720.000 Euro verstärkt gefördert.
Weitere, teils klarstellende Änderungen betreffen arbeitsrechtliche Regelungen für fromme jüdische Religionsangehörige, die über bisherige Feiertagsregelungen hinausgehen, sowie die Bedeutung des Schabbats und jüdischer Feiertage für jüdische Studierende.